Sonntag, Mai 06, 2007

Von Allem Alles und von Keinem ein Bisschen.

Die Auswüchse einer Anwendungssoziologie lassen sich in diesem hirnartigen Gebilde der Sinus-Milieus bestaunen.


Der Drang nach Ordnung und Benennung gesellschaftlicher Fühlzustände ist hier treibende Kraft. Ich bin aber soziologisch geschult und daher weiß ich natürlich sofort die Schwachstellen zu benennen (im wissenschaftlichen Duktus wird diese Haltung zeitweise als "kritisch" interpretiert). Problem: Was bin ich nicht? Ich bin morgens experimentell drauf, weil ich über den Tag einen "Modernen Performer" spielen muss. Auf dem Weg zur Arbeit schätze ich die post-materialistische Fortbewegung (mein Mercedes ist die Niederflurstraßenbahn, wahlweise mit Standheizung oder Tieffrostklima). Im Innersten bin ich bürgerlich-mittig bis konservativ veranlagt, was sich kurzzeitig ausdrückt in einer zwang- und regelhaften Essensaufnahme (ich hab nicht selten um Zwölf Uhr an Mittagessen gedacht). Obwohl ich in der Fortbewegung dem Post-Materialismus anhänge, kann ich eine gewisse Konsumabhängigkeit nicht verhehlen (zuweilen ist Konsum einziger Tagesinhalt). Und dann sind da noch die Abende und die Nächte. Ohne es zu wollen, wird man von mancher Seite des unplanmäßigen Hedonismus beschuldigt. Die eigentliche Frage lautet wohl eher: Was bin ich nicht?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Als ebenfalls geschulte Soziologin merke ich an: der AUtor dieses Textes spricht eine typische Kritik an den Milieueinordnungen an. Aber (und ein "aber" gibts ja immer): es gibt ja auch faktisch keinen Menschen der alle Eigenschaften eines Milieus besitzt, sondern es sind verschiedene Typen die sich innerhalb eines bestimmten Bereichs bewegen. Abgesehen davon ist das Milieukonzept aber auch aus der Marktforschung entstanden, woraus sich seine skizzenartige Idealtypenbildung ableitet. So, Klugscheißen macht Spass.

sebastian hat gesagt…

Alleine weil keine Reflexion ohne Gegenreflexion existieren kann, gar die Reflexion fest mit der Gegenreflexion rechnet, wird dieses Vorgehen auch hier nochmal getätigt.
Die hier dargestellte Form der Publikumsforschung, denn das ist -richtigerweise angemerkt- primäres Ziel dieser Anwendung, sucht nach Gemeinsamkeiten/Differenzen im Publikum jenseits von demographischen Beschreibungen(Alter,Einkommen, etc.). Die Kritik des Bloggers ist nun, dass ein speziellerer Blickwinkel auf die Gemeinsamkeiten/Differenzen zwar eröffnet wird(Zwei Nachbarn sind beide 40 Jahre, haben 2 Kinder, einen hohen Bildungsabschluss. Der eine kann nun dem konservativen Milieu, der andere dem "Modernen Performer" -Milieu zugeordnet werden.), jedoch eine so klare Differenzierung zwischen den Milieus gar nicht möglich ist. Darüber hinaus: Es gibt mehr Menschen, die die typische Eigenschaften der verschiedenen Milieus über den Tag leben als Menschen, die nur die Eigenschaften eines Milieus leben.

Die Gegenreflexion der "anonymen Soziologin" (in vielen alltäglichen Situationen wird man dazu genötigt, sich so zu fühlen :-)) verweist gekonnterweise auf ein soziologisches Schwergewicht, den Begriff der Idealtypen, um die skizzenartige Vorgehensweise der Sinus-Milieus erklärbar zu machen.
Dagegen hält der Blogger:
Die Idealtypische Einordnung kann nicht verhindern, dass der Gegenstand (der einzelne Menschen, der das Produkt kauft! Nicht die Gruppe, der er angehört.) sich in einer Produktpalette doch nicht wiederfindet. Das Produkt orientiert sich letztlich am Idealtyp. Doch bisher wurde kein einziger Idealtyp im Supermarkt gesichtet.